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Linearperspektivisches Zeichnen macht Toleranz zum Prinzip


Die Entdeckung der Zentralperspektive geht auf Filippo Brunelleschi (*1377 in Florenz, † 1446 ebenda) zurück, der als Bildhauer, Architekt und Ingenieur in seiner Heimatstadt Florenz wirkte. Zu seinen Werken gehört dort unter anderem die Kuppel der Kathedrale Santa Maria del Fiore. Er gilt somit als der Vater der Renaissance-Architektur. Er erkannte die Regeln der Linearperspektive, die bereits in der Antike beschrieben worden waren, wieder neu, und legte deren Gesetzmäßigkeiten erstmals schriftlich nieder. Diese neue Art des Zeichnens revolutionierte die Baukunst, da durch ihren Einsatz bereits bei der Planung die Einbeziehung der Umgebung des neu zu errichtenden Gebäudes sichtbar gemacht werden konnte. Der Städtebau wurde von nun an, von Florenz ausgehend, beinahe nur noch nach den Regeln der Perspektive geplant. Die Beschreibung der Gesetze der Linearperspektive hatte aber auch Auswirkung in der Malerei und in der Reliefplastik.


Die naturwissenschaftliche Herangehensweise, die durch die Gesetzmäßigkeiten der Linearperspektive in die Zeichnung kommt, macht auf künstlerischem Gebiet deutlich, wie sehr sich der Renaissance-Mensch in der Art der Naturbetrachtung veränderte. Statt nur eine einzige, starre Sichtweise zu zeigen, erlaubt die Perspektive mehrere Blickwinkel zu berücksichtigen und so die Welt vielfältiger und offener zu sehen. Sie fördert die Akzeptanz verschiedener Sichtweisen, was die Toleranz auch gegenüber unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven zu stärken vermag.


In der heutigen Gesellschaft werden oft nur noch wenige Standpunkte oder Perspektiven akzeptiert (allzu häufig nur noch die eigenen), was zu einer eingeschränkten Sichtweise führen kann. Die ursprüngliche Idee der Perspektive, verschiedene Blickwinkel einzunehmen und die Welt aus unterschiedlichen Sichtweisen zu betrachten, ist jedoch nach wie vor wichtig. Sie erinnert uns daran, offen für andere Meinungen und Perspektiven zu sein, um Toleranz und Verständnis zu fördern.


Wenn es gelingt, deutlich zu machen, wie umfassend der eigene Standort den Blick bestimmt, ja sogar eine völlig andere Weltsicht liefern kann, wenn man den Standort wechselt, ist es kein so großer Schritt mehr, das Anliegen des Kolumbus nachzuvollziehen, den Horizont zu überwinden und neue (See-)Wege zu erforschen. Zu der Veränderung, die sich durch Kopernikus und Galileo Galilei im Hinblick der Stellung der Erde im Universum, einige Jahrzehnte später ergab, ist der Schritt ebenfalls nicht mehr so groß. Und zu dem „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders!“ eines Martin Luther vermag die Betrachtung der Linearperspektive ebenfalls Anlass und Anregungen geben.


  • Durch die gesetzmäßigen Grundlagen der Linearperspektive wird Objektivität erstellt. (Gesetz = Richtlinie)

  • Die Linearperspektive, wie sie in der Malerei der Renaissance erstmals auftauchte, schult räumliches Vorstellungsvermögen.

  • Das linearperspektivische Zeichnen fördert das Einhalten von Gesetzen. Das schafft nicht nur klare Ausgangspunkte (Standpunkte), sondern auch Ordnung. Und diese Regeln sind von jedem erlernbar.

  • Die Aufgabenstellung ist objektiv; durch die individuelle (subjektive) Bearbeitung der Thematik wird deutlich, dass es viel mehr Möglichkeiten der Bearbeitung gibt, nicht nur die eigene.

  • Die bei den verschiedenen Zeichnungen klar zu definierenden Standpunkte und Blickwinkel versinnbildlichen, dass jeder Mensch einen eigenen Standpunkt hat und deshalb auch einen eigenen Blickwinkel haben kann.

  • Dass verschiedene Standpunkte verschiedene Blickwinkel ergeben, verdeutlicht aber auch, dass Toleranz und Aufgeschlossenheit anderen vielleicht unbekannten Sichtweisen gegenüber notwendige Lebensregeln darstellen.

  • Das Einhalten von Regeln erzeugt exakte Zeichnungen, die allein dadurch schon schön auf den Betrachter wirken.


M. Hubert Schwizler - Klassenlehrer

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